Nach zwei Monaten Winterurlaub im Oman legt unsere Fähre Mitte Februar im Hafen von Bandar Abbas an. Wir sind zurück im Iran. Auf das erneute Kopftuchtragen und die langen Hosen freue ich mich zwar nicht, dafür umso mehr auf die lieben Menschen. Zusammen mit Martine und Dominique machen wir uns auf den Weg ins Zentrum. Es fühlt sich an wie Heimkommen. In Bandar Abbas kennen wir uns aus, wissen, wo wir am besten Geld wechseln, wo man das beste Eis bekommt und was man zur Begrüßung sagt. Selbst der chaotische Verkehr kann uns nicht mehr verunsichern. Wir radeln noch keine fünf Minuten, als uns das erste Auto anhält. “Welcome to Iran” ruft uns der Mann zu und reicht uns vier Styroporboxen durchs Fenster. Wir bedanken uns für das Essen und setzen uns freudenstrahlend an den Straßenrand. Es gibt Reis mit Hühnchen.

Es ist so schön wieder im Iran zu sein. Wir schlendern über den Markt, freuen uns über das viele frische Obst und Gemüse, essen reife Erdbeeren, kaufen am Bazar Nüsse und schlemmen iranisches Eis. Wir freuen uns riesig unseren lustigen Gastgeber Sadegh wieder zu sehen und schlafen zu viert in seiner kleinen Gartenhütte. Für unsere Weiterreise durch Turkmenistan müssen wir Transitvisa beantragen. Wir planen noch etwas weiter gen Osten und dann parallel zur Grenze zu Pakistan und Afghanistan hinauf in den Norden zu radeln. Ungefähr zwei Monate wollen wir uns dafür Zeit nehmen und noch viel vom Iran erkunden, bevor wir Zentralasien und den bis dahin hoffentlich schneefreien Pamir Highway erreichen.

Die Landschaft entlang der Golfküste Richtung Pakistan ist extrem karg und einsam. Doch in den letzten Wochen hat es außergewöhnlich viel geregnet. Ein Hauch Grün überzieht die Landschaft, ein inzwischen ungewohnter Anblick für uns. Wir nähern uns Belutschistan. Leider konnten wir kaum etwas über die “gefährlichste” Provinz Irans herausfinden. In den meisten Reiseführern wird sie erst gar nicht erwähnt, es kommt selten vor, dass sich ein Tourist dorthin verirrt. Von ein paar iranischen RadlerInnen haben wir erfahren, dass es wunderschön sein soll und die Leute zwar sehr arm sind, dafür aber umso gastfreundlicher. Auch in der Nachbarregion wohnen viele Belutschen, wir werden sofort zum Grillen im Park eingeladen. Zu unserer Freude spricht der Mann recht gut Englisch und kann uns einiges über sein Volk erzählen. Najib und seine Familie laden uns ein, bei ihnen zu übernachten. Ihr Heim liegt genau auf unserer Route, so nehmen wir das Angebot gerne an. Es dämmert bereits als wir eintreffen. Sie haben sich bereits Sorgen gemacht, denn sobald es dunkel wird, sind hier viele Schmuggler unterwegs. Mit einem Tank auf ihrem Pickup rasen sie in der Dunkelheit ohne Licht an den Strand und verladen den Sprit auf kleine Fischerboote, die dann weiter draußen im persischen Golf die Ware auf ein größeres Schiff pumpen. Der staatlich subventionierte Treibstoff ist selbst für die ölreichen Nachbarstaaten günstig und wird von dort weiterverkauft. Sogar in Bandar Abbas gibt es einen Schmuggler-Strand. Allabendlich kommen Schnellboote von Dubai herüber, die allerlei Elektronikgeräte an Bord haben. Die Polizei weiß natürlich davon und verdient selbst ihren Anteil. Nicht ganz ungefährlich soll es an der Grenze zu Pakistan sein. Hier kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Öl- und Drogenschmugglern.

Wir bleiben zwei Tage bei Najib und seiner Familie. Sie kochen gutes vegetarisches Essen, es gibt wieder mal Soja-Maccaroni. “Sistan und Belutschistan” ist die ärmste Provinz des Landes und sehr speziell. Wir erkennen einige Parallelen zum iranischen Kurdistan und viele Verbindungen zur Kultur im Oman. Die Belutschen, die den Südosten Irans, einen größeren Teil Pakistans und ein Eckchen von Afghanistan bewohnen, sind überaus freundliche Menschen. Die meisten Männer schütteln auch mir die Hand. Der Kleidungsstil unterscheidet sich sehr vom Rest Irans. Die Frauen tragen bunte, bestickte Kleider, die Männer weite Hosen und ein Hemdkleid. Sie sprechen Belutschi und manche von ihnen wünschen sich eine unabhängiges Belutschistan. Aus all diesen Gründen werden sie von der Regierung kaum unterstützt und bekommen keine dringend notwendigen Hilfsleistungen. Teheran ist nicht nur geografisch weit weg. Mit dem Oman gab und gibt es hingegen vielerlei Verbindungen. Früher bestellten die Familien je nachdem, wo es mehr geregnet hatte, ihre Felder herüben oder drüben. Die Männer hatten auf beiden Seiten des Golfs eine Frau. Oder auch mehrere. Oft wird uns von früher erzählt. Man zeigt uns Fotos von tapferen, gerechten Herrschern, die hoch zu Ross für die Unabhängigkeit oder gegen den Nachbarclan kämpften. Aber auch Bilder vom Alltag. Es ist unvorstellbar, unter welch harten Bedingungen und in welcher Armut die Menschen hier bis vor gar nicht allzu langer Zeit gelebt haben. Einiges hat sich gebessert, hart ist das Leben immer noch. Najib bereitet uns süße Nudeln und Tee mit Milch und Gewürzen zum Frühstück. Es ist eine der vielen Gemeinsamkeiten zum Oman, die wir hier im Süden Irans entdecken.

Bei Najib und seiner Familie

Bei Najib und seiner Familie

Am persischen Golf ist es jetzt schon richtig heiß. Mitte Februar haben wir 36 Grad. Mit der langen Hose komme ich ganz schön ins Schwitzen. Gut, dass der Sonnenhut als Kopfbedeckung ausreicht. Mit Kopftuch könnte ich mir das Radfahren gar nicht vorstellen. Übrigens werde ich hier trotz meiner kurzen Haare und Hut wieder sofort als Frau erkannt. Die Verwechslungen scheinen ein arabisches Phänomen gewesen zu sein. Aufgrund der massiven Überschwemmungen einen Monat zuvor, sind viele Straßen und Brücken zerstört und wir müssen einige Male Flussbetten durchqueren. Doch was uns wirklich zusetzt, sind die Millionen von Moskitos, die jeden Abend bei der Schlafplatzsuche um uns herumschwirren. Sie sind eine richtige Plage, fliegen einem sogar beim Sprechen in den Mund. Hinzu kommt der komplett durchweichte, lehmige Boden, in dem man teilweise bis zum Knie einsinkt. Zelten ist unmöglich. Echt schade, weil die Landschaft faszinierend ist. Doch wie sollte es anders sein, wir haben wieder mal Glück. Die Belutschen sind - ebenso wie die meisten Kurden - Sunniten. Viele ihrer Moscheen haben einen kleinen Gästeraum für Pilger und Reisende. Jede/r darf hier kostenlos übernachten. Wir radeln einfach zur Moschee, machen uns irgendwie verständlich und werden problemlos aufgenommen. Nicht einmal ob wir verheiratet sind spielt eine Rolle. Meist ist es ein leerer Raum mit einem Teppich am Boden. Eine Waschgelegenheit gibt es natürlich auch. Und auf wundersame Weise halten sich die Moskitos von den Räumen fern.

Eh klar, dass unsere Anwesenheit nicht lange unbeobachtet bleibt. Sofort werden wir zum Abendessen eingeladen. Der Hausherr arbeitet in Dubai. Mit dem dortigen Einkommen ist er im Iran richtig reich. Immer wenn er auf Heimaturlaub ist, versammelt sich das ganze Dorf in seinem Haus. Im Männerraum wird geplaudert, Karten gespielt, viel geraucht und der Fernseher läuft. Manche sitzen auch einfach nur rum und warten aufs Essen. Irgendwann werde ich zu den Frauen gebracht. Die haben sich in einem kleinen Raum neben der Küche versammelt. Es ist total heiß, alle sitzen eng zusammengepfercht nebeneinander. Ich darf mich in die Mitte setzen und werde von allen Seiten angestarrt. Leider spricht niemand Englisch. Es genügt aber auch, einfach Selfies mit mir zu machen. Ich komme mir vor wie im Zoo. Für die Frauen scheint es selbstverständlich zu sein, dass sie mich fotografieren dürfen, umgekehrt wird das gar nicht gern gesehen. In der ganzen Zeit, die wir in Belutschistan verbracht haben, habe ich nur zwei Fotos gemacht, auf denen eine Frau zu sehen ist. Übrigens tragen die Frauen, auch wenn sie unter sich sind, immer ein Kopftuch, manche sogar die Burka, die traditionelle Gesichtsmaske. Ich glaube, dass es dabei nicht so sehr um die Verhüllung geht, sondern auch um modisches Auftreten und Schönheit. Sie zeigen mir Videos von einer Hochzeit. Eines der wichtigsten Themen hier. Belutschistan ist extrem traditionell geprägt. Geheiratet wird in der Familie. Junge Leute erzählen uns, wie gern sie jemanden anderen heiraten würden. Doch sie müssen ihre Liebschaften geheim halten. Die Familie erwartet, dass man seine Cousine heiratet oder sogar seine Schwester, wenn sonst niemand zur Verfügung steht. Die Hochzeitsfeier dauert meist vier Tage, wobei Männer und Frauen getrennt feiern. Im kleinen Ort Fanuj sind auch wir auf eine Hochzeit eingeladen. Ich werde in ein traditionelles Kleid gesteckt und bin bei den Frauen Ehrengast. Jede mag mal neben mir sitzen, ein Foto mit mir machen und mir Henna-Tattoos auf die Hand malen. Es wird zu lauter Musik getanzt, die Stimmung ist ausgelassen. Ganz anders bei den Männern. Sie versammeln sich zu Hause, führen belanglose Gespräche und die Älteren rauchen Opium. Ferdi und die anderen jungen Männer müssen gelangweilt dabei sitzen. Nach dem Abendessen endet der Männerabend. Die Frauen feiern noch lange in die Nacht hinein.

Das Corona-Virus im Iran ist mittlerweile auch hier Gesprächsthema. Viele Leute sollen bereits gestorben sein. Wieviele es sind, wissen wir nicht. Die Regierung hält die Zahlen unter Verschluss. Immer wieder bekommen wir SMS vom iranischen Gesundheitsministerium mit Aufforderungen zum Händewaschen, Distanz halten und ähnlichem. Es dürfte also doch ernster sein, als offiziell zugegeben wird. Einige Nachbarländer haben die Grenzen geschlossen. Die Menschen hier im hintersten Winkel Irans sind der Auffassung, dass Corona sicher nicht ins Dorf kommt. Noch immer finden große Feste statt, es wird mit der Hand vom selben Teller gegessen und mit dem selben Mundstück Wasserpfeife und Opium geraucht. Wir versuchen so wenig wie möglich Hände zu schütteln, was bei vielen IranerInnen anfangs für Unverständnis sorgt und bei der großen Anzahl an Begegnungen gar nicht so einfach ist. Auf den Straßen sieht man vermehrt Menschen mit Gesichtsmasken. Immer wieder denken wir darüber nach, was wohl passiert, wenn alle Grenzen dicht sind und wie sich das Virus im Land ausbreitet. Von anderen Radreisenden haben wir gehört, dass sie bereits das Land verlassen haben. Für uns kommt das im Moment gar nicht in Frage, wir wollen weiterreisen. Auch wenn die Situation schwierig und die Freude am Reisen getrübt ist, versuchen wir optimistisch zu bleiben. Wir werden mit immer spektakuläreren Felsformationen an der Küste belohnt. Eine Gruppe Einheimische lädt uns zu ihrem Picknick ein. Die Männer sitzen am Teppich und rauchen Shisha während sich die Frauen um das Essen kümmern. Am sandigen Boden wird ein Feuer entfacht, in dessen Asche später das Brot gebacken wird. Dazu gibt es Fischsuppe. Das frisch gebackene, etwas sandige Brot wird in Stücke gerissen und zur Suppe in den Topf gegeben. Dort saugt es sich mit Suppe voll. Die restliche Suppe wird weggeleert und übrig bleibt ein breiiges Fischstückchen-Suppen-Brot-Gemisch. Sehr appetitlich sieht das nicht aus, aber dennoch finde ich es amüsant zu beobachten, wie alle mit ihren Händen in die Schüssel greifen und sich ein Stück in den Mund schieben. Wir zelten direkt vor den Felstürmen und bekommen vorm Schlafengehen noch Besuch von einem gefährlich aussehenden Skorpion.

In der Hoffnung auf kühleres Wetter und weniger Moskitos verlassen wir die Küstenregion und nehmen eine kleine Straße Richtung Norden. Wir sind begeistert. Hier sieht es genauso spektakulär aus wie im Oman. Die gleichen Berge, Steine und Sträucher. Nur Touristen gibt es hier absolut keine. Später in Kotij werden uns die Einheimischen erzählen, sie hätten noch nie Ausländer im Ort gesehen. Nur der Opa kann sich an ein Auto aus Italien erinnern, das vor über vierzig Jahren durchgefahren ist. Wir radeln auf Schotterpisten in Flusstälern, durch kleine, sehr ärmliche Dörfer mit freundlichen BewohnerInnen, sehen Warane, Skorpione und Wildschweine. Alles ist ein bisschen grün und die Luft extrem trocken. Wir maskieren uns nicht wegen Corona, sondern verhüllen Mund und Nase, um ein bisschen Luftfeuchtigkeit zu speichern. Leider können wir die wunderschöne Gegend nicht lange genießen, denn ganz unerwartet verspüre ich starke Schmerzen im Nierenbereich und werde ins Krankenhaus transportiert. Darüber und was danach passiert ist, haben wir bereits in dem Bericht über unsere ungewollte Heimreise geschrieben.

Ach wie vermissen wir dieses großartige Land und seine wunderbaren BewohnerInnen!