Montagvormittag, 16. März. Nach einem Telefonat mit unseren Eltern steht fest, wir treten die Rückreise an. Corona im Iran ist zu gefährlich.

Als wir Mitte Februar nach unserem “Winterurlaub” im Oman zum zweiten Mal in den Iran einreisen, ist hier von Corona noch keine Rede. Doch in den letzten Wochen hat sich die Situation extrem verschärft. Über eine Whatsapp-Gruppe sind wir mit anderen Iran-Reisenden vernetzt und informieren uns gegenseitig über Ausreisemöglichkeiten und Grenzschließungen.

Geplant hatten wir eigentlich den Iran ein zweites Mal, diesmal von Süden nach Norden, zu durchqueren und über Turkmenistan und Usbekistan den Pamir Highway zu erreichen, der sich von Tadschikistan über einen 4600 Meter hohen Pass nach Kirgistan windet. Dann irgendwie Richtung Mongolei, Pazifik, Südamerika… das war alles noch offen. Die Reise sollte noch mindestens ein, zwei Jahre dauern.

Doch kaum werden die ersten Coronafälle im Iran offiziell publik, schließen alle Nachbarländer ihre Grenzen. Wir stecken fest. Einige unserer RadlerfreundInnen konnten das Land gerade noch verlassen, fliegen nach Europa und brechen die Reise ab. Wir können uns das ganz und gar nicht vorstellen. Deshalb entscheiden wir uns vorerst zu bleiben, durch kleine Dörfer im Süden zu radeln und möglichst wenig Kontakt mit Menschen zu haben. Es ist wunderschön im iranischen Belutschistan, die Landschaft ist atemberaubend, die Menschen unglaublich nett und gastfreundlich. Für uns ist hier ganz klar der bisherige Höhepunkt der Reise. Doch leider können wir ihn nicht so richtig genießen. Die Politik im Iran versucht wie immer alles zu vertuschen, die offiziellen Todes- und Infiziertenzahlen entsprechen nicht den tatsächlichen, es werden keine Ausgangssperren verhängt und selbst die Pilgerstätten bleiben noch wochenlang geöffnet. In Qom, dem Ausgangspunkt der Epidemie berühren und küssen die Pilger weiterhin den heiligen Schrein, tausende von ihnen sind aus den Nachbarländern angereist und verbreiten bei ihrer Heimkehr Corona in ihren Länder. Die Situation ist für uns sehr schwer einzuschätzen. Im Süden, wo wir uns befinden, gibt es bisher nur wenige Fälle. Deshalb radeln wir vorerst weiter durch die wunderschöne Landschaft.

Doch dann eines Tages in der Mittagshitze bekomme ich plötzlich starke Schmerzen im Nierenbereich und kann nicht mehr weiterradeln. Mitten im Nirgendwo bei 35 Grad ohne Schatten und keinem Handyempfang liege ich auf der Schotterpiste, weiß nicht, was mit mir los ist und wir können nur warten, bis ein Auto oder Motorrad vorbeikommt. Wir haben Glück. Keine fünf Minuten später kommt ein Auto, die Leute sind sehr hilfsbereit und bringen uns sofort ins nächste Krankenhaus. Auch unsere Räder haben Glück und werden vom nachkommenden LKW aufgegabelt. Nach zwei Stunden rasanter Fahrt über holprige Schotterstraßen liege ich auf einem Krankenbett, Blut- und Urintests werden gemacht und mir wird eine Infusion Schmerzmittel verabreicht. Am Eingang haben wir Gesichtsmasken bekommen, ansonsten gibt es keinerlei Vorsichtsmaßnahmen. Die PflegerInnen verwenden nicht einmal Handschuhe beim Blutabnehmen, der Arzt schüttelt uns die Hände. Ich liege im Krankenbett, warte bis die Infusion durch ist, den Krankenschwestern fällt nichts besseres ein, als die üblichen Selfies mit mir zu machen und ich überlege wie es weitergehen soll. Der Arzt spricht gut Englisch und hegt den Verdacht auf Nierensteine. Doch leider gibt es hier keinen Ultraschall und somit keine Möglichkeit, das zu überprüfen. In den nächstgrößeren Ort dürfen wir nicht, das Krankenhaus ist nur für Coronafälle zugänglich. Also fahren wir mit unseren iranischen Helfern noch einmal drei Stunden über eine kurvige, hügelige Straße in eine andere Stadt. Der Fahrer gibt Vollgas, Ferdi am Rücksitz muss sich drei Mal übergeben. Drei Stunden, nur um festzustellen, dass es hier ebenfalls keinen Ultraschall gibt. Alles umsonst. Noch eine Infusion Schmerzmittel, dann zurück nach Fanuj, wo wir hergekommen sind. In der Zwischenzeit bin ich schmerzfrei und wir beide sind hundemüde von diesem aufregenden Tag. Wir können bei unseren Rettern im Gästezimmer bleiben.

Drei Tage später radeln wir ein paar Orte weiter nach Kotij zu Freunden unserer Helfer. Nun merken wir, dass es vorbei ist mit dem Reisen. Es wird immer schwieriger, gibt kaum mehr Flüge ins Ausland, selbst hier am Land weit ab von Teheran ist die Lage äußerst angespannt. Wir haben wieder mal riesiges Glück mit unserer Gastfamilie. Für sie ist es kein Problem, wenn wir ein bis zwei Monate hier bleiben. Sie kochen für uns, Salman spricht perfekt Englisch, die Frauen lernen mir ihre wunderschöne Stickkunst und wir haben ein super schönes Gästezimmer und - ganz unüblich für den Iran - viel Ruhe. Klingt doch perfekt! Bis unsere Eltern einen ORF-Bericht über die aktuelle Lage im Iran sehen und nicht mehr schlafen können. Durch die Sanktionen und Misswirtschaft werden die Medikamente knapp, die medizinische Versorgung ist äußerst dürftig, wahrscheinlich ist die Lage schon außer Kontrolle. Der religiöse Führer spricht von einer biologischen Waffe der USA und rät den Leuten immer noch, beten zu gehen. Durch die weltweite Ausbreitung des Virus und die damit einhergehende Abschottung der einzelnen Länder ist eine Weiterreise für die nächsten Monate unmöglich. Schweren Herzens entscheiden wir uns, unsere Reise vorläufig abzubrechen und so schnell wie möglich nach Österreich zurückzukehren.

Unsere Familie in Fanuj ♥

Unsere Familie in Fanuj ♥

Es ist dieser Montagmittag am 16.3. Innerhalb von zwei Stunden haben wir einen Flug von Teheran nach Paris gebucht, einen Fahrer gefunden, der uns vom äußersten Südosten Irans nach Bandar Abbas fährt, einen Inlandsflug von Bandar Abbas nach Teheran gefunden, unsere Sachen gepackt und uns von unserer lieben Gastfamilie verabschiedet. Es ist unglaublich traurig! Doch wir trösten uns alle damit, dass wir nach Ende der Krise wiederkommen, um noch viel mehr Zeit in der schönsten Ecke Irans zu verbringen. Da der Iran nicht an das internationale Bankensystem angeschlossen ist, können wir den Flug nicht einfach mit unserer Kreditkarte bezahlen, sondern müssen auch hier alle Hebel in Bewegung setzen und auf die Hilfe unseres lieben iranischen Freundes in Wien zurückgreifen. Arash hat sich schnell von jemandem Geld geliehen, um es dann einem anderen Iraner in Wien zu bringen, der wiederum jemanden im Iran kontaktiert, der daraufhin unsere Flüge mit seiner iranischen Kreditkarte bezahlt. Und das alles innerhalb von einer halben Stunde!

Die Räder sind auf das Dach des Autos geschnallt und wir abfahrbereit. Der erste Teil der Strecke ist richtig abenteuerlich. Wir kurven über miese Schotterstraßen und müssen einige Flussbetten durchqueren, da ein Hochwasser die Brücken weggeschwemmt hat. Ich habe kurz Angst, dass unsere Heimreise mitten im Fluss endet. Doch unser Chauffeur fährt souverän und so kommen wir fünf Stunden später sicher in Bandar Abbas am persischen Golf an. Ein paar mal müssen wir an Checkpoints anhalten und Fieber messen. Bei mir werden 33 Grad angezeigt! Während der Fahrt haben wir mit einem Iraner, den wir über Bekannte aus der Whatsapp-Gruppe kennen, Kontakt aufgenommen und gefragt ob wir für eine Nacht bei ihm bleiben dürfen. Kein Problem meint er. Er sei zwar im Nachtdienst, wenn wir ankommen, aber lege uns den Wohnungsschlüssel vor die Tür. Nach dreieinhalb Monaten im Iran sind wir noch immer von der unglaublichen Gastfreundschaft der Menschen fasziniert. Sinas Wohnung liegt in unmittelbarer Nähe zum Flughafen. Nachdem wir am nächsten Tag alles gepackt haben, radeln wir direkt zum Terminal. Nächste Challenge: Fahrräder verpacken. Aber auch das ist kein großes Problem. Vorderreifen ausbauen, Luft aus den Reifen lassen, Lenker querstellen, Pedale umdrehen und alles in Plastikfolie einwickeln lassen. Dann zum Check-in und Abflug nach Teheran. Für zwei Stunden Inlandsflug haben wir pro Person siebzehn und pro Fahrrad sechs Euro bezahlt. Ja, der Iran ist wahnsinnig billig.

Dienstagabend: Ankunft am Inlandsflughafen in Teheran. Es dauert fast eine Stunde, bis wir ein Taxi finden, das groß genug für unsere Räder ist und uns zum internationalen Flughafen bringt. Nach neun Monaten müssen wir zum ersten Mal für eine Übernachtung zahlen. Das Zimmer im Flughafenhotel kostet fünfzehn Euro. Für uns beide gemeinsam!

Um genug Zeit für die angekündigten Gesundheitschecks zu haben, stehen wir am nächsten Morgen bereits vier Stunden vor Abflug hundemüde am Flughafen. Ein kurzer Blick auf den Abflugmonitor lässt uns aufatmen, der Flug nach Paris ist “on-time”. Juhu! So viele andere Flüge wurden in den letzten Tagen kurzfristig storniert. Gleich am Eingang wird Fieber gemessen und wir bekommen ein Gesundheitszertfikat für unseren Flug nach Paris. Wie wir später bemerken, ist der Schalter nicht durchgehend besetzt, einige Leute kommen ohne Check durch. Vor Abflug ruft uns die österreichische Botschaft aus Teheran an, um sich über unsere Lage zu informieren. In den letzten Wochen waren wir immer wieder mit ihr in Kontakt und wurden über Ausreisemöglichkeiten informiert. Die MitarbeiterInnen waren überaus freundlich und hilfsbereit.

Wir können es kaum glauben im Flieger zu sitzen. Viele Reisende tragen Gesichtsmasken und Handschuhe, es riecht nach Desinfektionsmittel. Das einzige, was uns jetzt noch am Abflug hindern kann, ist ein streunender Hund, der auf der Rollbahn herumspaziert. Durchs Fenster beobachten wir, wie immer mehr Polizeiautos auftauchen und versuchen, den Hund einzufangen. Ein paar Minuten später heben wir ab. Auf nach Europa!

An Board müssen wir eine “Ausstiegskarte” ausfüllen. Das Formular ist auf Deutsch mit Stand von Mitte Februar und listet China als einziges Corona-Risikogebiet auf. Chaotisch und unkontrolliert werden die Zettel von den FlugbegleiterInnen eingesammelt. Was weiter damit passiert, entzieht sich unserer Kenntnis.

Mittwochnachmittags, pünktlich um 14:15 Uhr landen wir in Paris. Am Zoll steht niemand, an der Passkontrolle nehmen wir den Automaten. Alle Flüge von Frankreich nach Österreich wurden gestrichen, Ferdis Schwester hat uns einen Flug nach München gebucht. Am Lufthansa Schalter sind sie zuerst skeptisch, weil wir als ÖsterreicherInnen nicht in Deutschland einreisen dürften. Schnell buchen wir online ein Zugticket für die Weiterreise an die österreichische Grenze und können problemlos einchecken. Der Österreicher am Nachbarschalter hat Pech, von ihm wird ein Gesundheitszertifikat verlangt, dass er seit vierzehn Tagen “Coronafrei” ist. Wir staunen über unser Glück und machen uns schnell und unauffällig auf den Weg zum Gate.

Kurz nach 18 Uhr sitzen wir im Flieger nach München und genießen unser erstes Bier seit langem. In München werden die Pässe kontrolliert. Der Polizist fragt uns, woher wir kommen. “Iran?” meint er etwas skeptisch ohne näher darauf einzugehen. Was denn unsere Pläne für die Weiterreise seien? Ferdi zeigt ihm am Handy unser Zugticket und erklärt, dass wir heim nach Salzburg fahren. Daraufhin der Grenzbeamte “Ah…ja, der Flug nach Salzburg geht eh gleich”. Ferdi antwortet leise mit “Ja genau” und wir machen uns aus dem Staub. Schon wieder mit viel Glück eine Hürde geschafft!

Unsere Fahrräder liegen schon abholbereit und auch unser Gepäck dreht seine Runden am Förderband. Unglaublich wie zügig alles voran geht. Wir laden unser Hab und Gut auf zwei Transportwagerl und marschieren, wieder gänzlich ohne Gesundheitscheck, bis zur S-Bahn. Am Bahnsteig heißt es dann Fahrräder zusammenbauen, alles auspacken und fahrbereit machen. Keine zwanzig Minuten später befinden wir uns bereits mit Sack und Pack in der S-Bahn zum Münchner Ostbahnhof. Die Reifen sind zwar noch platt und ein paar Schrauben locker, doch dafür haben wir auch im Zug noch genug Zeit. Am Ostbahnhof steigen wir um Richtung Freilassing. Normalerweise fährt der Zug bis nach Salzburg, wegen der Ausnahmesituation aber leider nur bis kurz vor die Grenze. In der Zwischenzeit bekommen wir von unseren Eltern die neuesten Updates in Sachen Grenzkontrollen. Österreich hat angekündigt ab Mitternacht an der Grenze zu Deutschland Kontrollen und Gesundheitschecks durchzuführen. Unser Zug kommt um halb zwölf in Freilassing an.

Mittwochnachts kurz vor Mitternacht radeln wir einsam auf der Bundesstraße Richtung Grenzbrücke. Ein bayrischer Polizist ruft uns entgegen: “Do gibt’s an Radlweg!” und “Ihr fahrts nach Österreich oder?”. Wir nicken. Er: “Passt!” Keinerlei Polizei auf der österreichischen Seite.

Das war’s. Bevor wir uns für zwei Wochen in die freiwillige Heimquarantäne begeben, radeln wir bei Ferdis Eltern vorbei und winken ihnen mit viel Abstand von der Straße aus zu. Es ist unglaublich was sich in den letzten Tagen ereignet hat und wieviel Glück wir auf unserer gesamten Reise hatten. Wir sind unendlich dankbar für die großartige Hilfe unserer Familien, FreundInnen und all der lieben Menschen im Iran, die uns tatkräftig und in Gedanken unterstützt haben. Obwohl wir uns das Heimkommen in ferner Zukunft ganz anders vorgestellt haben und ziemlich enttäuscht über das abrupte Ende unserer Reise sind, sind wir doch froh so wohlbehalten zurück in Österreich zu sein.

Innerhalb von zwei Tagen vom hintersten Winkel Irans in eine komplett andere Welt, ins geregelte und “normalerweise normale” Europa zu reisen, ist ein ziemlicher Kulturschock. Das freie Leben in der Natur und im Zelt gegen ein Leben in der Stadt zu tauschen, wird eine Herausforderung! Gut, dass wir einen Teppich in der Wohnung haben, so können wir ganz im persischen Stil darauf schlafen. Nun werden wir die Unterbrechung unserer Reise nutzen um Geschehenes aufzuarbeiten und uns auf unserer Weiterreise vorzubereiten. Denn eines ist für uns ganz klar: sobald es die Umstände erlauben, wollen wir wieder raus in die Welt. Wahrscheinlich geht sich der Pamir Highway diesen Sommer nicht mehr aus. Dann fangen wir eben im Herbst von der anderen Seite an. Nach Patagonien wollten wir so und so.